Montag, 6. Juni 2016

Typische Fotofallen: Der Kontrastumfang

Die Automatiken neuer Kameras liefern Bilder, die dem Geschmack und der Erwartung der meisten Fotografen entsprechen. Das ist wunderbar für alle, die sich nicht über Gebühr mit der Technik und den Einstellungen herumquälen wollen. Wenn das Foto aber nicht so aussieht, wie man es gerne haben möchte, muss man wissen, wodurch das Problem verursacht wird. Erst dann kann man sinnvoll in den Entstehungsprozess des Bildes eingreifen.

Als Fachbuch-Autorin stehe ich vor der Herausforderung, dem Leser/der Leserin auf möglichst wenigen Seiten mit wenig Text und eingängigen Beispielen klarzumachen, wie bestimmte Dinge funktionieren. Seufzend denke ich an Andreas Feinigers Werke, die ich in meiner Jugend verschlungen habe wie einen spannenden Roman. Wer die Klassiker nicht kennt, so sieht das aus:

Viel Text im Fotolehrbuch ist heute nicht mehr hip...
Im Internetzeitalter hat der Leser eine sehr kurze Aufmerksamkeitsspanne. Weniger Text, mehr Bilder, das ist der Trend. Das klingt zunächst plausibel, schließlich geht es ja um Bilder.

Anschauen, verstehen, nachmachen. Alles ganz einfach, das versprechen viele Ratgeber. Die Wirklichkeit erlebe ich in Gesprächen mit KursteilnehmerInnenn und LeserInnenn. Dabei erfahre ich immer wieder, wie schwierig es sein kann, das erworbene Wissen von einer konkreten Situation auf eine andere zu übertragen.

Ein hoher Kontrastumfang ist z. B. ein typisches Problem, dem man als FotografIn an jeder Ecke begegnet, vor allem an sonnigen Tagen. Kurz gesagt besteht das Problem darin, dass einige Bereiche des Motivs sehr hell, andere sehr dunkel sind, also z.B. so:

Heller Hintergrund, schattiger Vordergrund:
Die Kastanienblätter werden schwarz.

















Fleckiges Licht im Wald:
Helle Bereiche überstrahlen.




















Wenn man das Grundprinzip verstanden hat, wird es einfacher, eine Lösungsstrategie zu entwickeln. Ein Beispielfoto, das stellvertretend für alle Kontrastumfang-Probleme steht, gibt es allerdings nicht. Das Phänomen hat viele Facetten,  je nachdem was man gerade fotografiert. Es tritt im Makrobereich genauso auf wie in der Landschaftsfotografie, bei Street-Motiven genauso wie in der Porträtfotografie. Folglich müsste man in jedem Buchkapitel erneut auf das Problem hinweisen und viele unterschiedliche Beispiele zeigen. Unmöglich! Schon jetzt habe ich im Verlag den Ruf, ständig mehr Text abzuliefern, als am Ende gedruckt werden kann. Selbst wenn wir zehn verschiedene einschlägige Beispiele zeigen würden, gibt es tausend andere Situationen, in denen das Problem erneut auftauchen wird. Hinzu kommt, dass man mit jeder Aufnahmesituation unterschiedlich umgehen kann. Darum gibt es den Fotonanny-Blog :-)

Beim Thema Kontrastumfang lautet die Lösung einmal HDR, ein anderes Mal kann man den Aufhellblitz verwenden oder man lässt die hohen Kontraste zu, weil sie zu einem interessanten und kreativen Bild führen.

Es kommt auf die Bildidee an!
Wie soll das Bild aussehen? Wenn der Fotograf keine konkrete Vorstellung hat, gibt es keine klare Zielvorgabe. Dann ist es schwierig, einen eindeutigen Lösungsweg zu beschreiben, den sich der Ratsuchende erhofft. Versuchen Sie also beim Betrachten eines Motivs in Gedanken zu beschreiben, wie das fertige Foto aussehen soll. Oder machen Sie eine erste Testaufnahme und schauen Sie sich das Ergebnis am Monitor genau an. Wo weicht das Ergebnis von Ihren Erwartungen ab? Wie müsste es aussehen und wie könnten Sie dafür sorgen, dass es genau so aussieht, wie Sie es gerne hätten?

Das menschliche Auge passt sich automatisch an die Helligkeitsunterschiede an. Unser Gehirn tendiert im Alltag dazu, diese Feinheiten auszublenden. Der vielzitierte "fotografische Blick" besteht darin, dass wir unseren Blick für Licht und Schattenzonen im Motiv trainieren. Im Hinblick auf den Kontrastumfang ist die Technik in den letzten Jahren immer besser geworden. Die Kontrastanpassung funktioniert bei neueren Kameras schon unglaublich gut, d.h. die hellen Bereiche des Motivs werden heute automatisch stärker abgedunkelt und die dunklen Bereiche aufgehellt, um ein ausgewogen belichtetes Bild zu liefern. Ist dies nicht der Fall, kann man durch spezielle Kamerafunktionen (HDR, Kontrastanpassungsfunktionen wie Active D-Lighting oder iContrast o.ä.) noch weiter in den kamerainternen Bildbearbeitungsprozess eingreifen.

Das Kontrastproblem ist nur eins von vielen, an denen ein Foto scheitern kann. Es ist nicht nur eine technische Frage ("wie belichte ich richtig"), sondern auch eine gestalterische ("warum belichte ich es so und nicht anders"). Es gibt stets mehrere Möglichkeiten.


Bei diesem Motiv wollte ich die Blätter als schwarze Silhouetten abbilden, so wie im oben gezeigten Original. Trotzdem ist es möglich, die RAW Datei in Lightroom so zu bearbeiten, dass man die grüne Farbe der Kastanienblätter sieht.

Alternativ hätte ich auch den Aufhellblitz einsetzen können, weil das Laub nah genug war.



Beim Motiv mit dem fleckigen Licht im Wald ist die Sache schwieriger. Ich hatte die RAW-Datei schon sehr knapp belichtet und die Funktion iDynamik auf maximale Werte gesetzt, um das Ausfressen der hell angestrahlten Bereiche zu vermeiden. Trotzdem war der Kontrastumfang zwischen der hellsten und dunkelsten Stelle des Motivs zu groß, um ihn mit einer einzelnen Aufnahme zu bewältigen. Hier hätte ich also mit Stativ arbeiten und mehrere Aufnahmen für eine spätere HDR-Bearbeitung machen müssen - zu aufwändig in dieser Situation. Solche Motive lassen sich an trüben Tagen einfacher fotografieren, weil der Kontrastumfang bei bedecktem Himmel nicht so hoch ist.

Die Belichtungsmessung spielt bei kontrastreichen Motiven ebenfalls eine wichtige Rolle. Wer die Spotmessung benutzt, wird eher über- oder unterbelichtete Fotos erhalten. Diese Messmethode ist sehr genau, die Helligkeit wird aber nur in einem sehr eng begrenzten Bereich gemessen. Grenzt ein heller Bereich an einen sehr dunklen, erhält man durch einen geringfügig veränderten Bildausschnitt völlig unterschiedliche Messwerte und somit auch ganz verschiedene Bildergebnisse. Wer möglichst gleichmäßig belichtete Bilder erwartet, für den ist die Mehrfeld- oder Matrixmessung geeigneter. Auch hier kommt es bei der Auswahl der technischen Kamerafunktion darauf an, was für ein Bildergebnis Sie anstreben. Oft reicht eine einzelne Funktion nicht aus, um ein Problem zu bewältigen und an dieser Stelle wird die Sache komplex und lässt den Anfänger verzweifeln. Geben Sie nicht auf!
Bei Durchblicken wie diesen entsteht fast immer ein
Kontrastproblem, das die Kamera nicht lösen kann.

Fotografieren mit Hintergedanken: Wenn man weiß, dass die hellsten Bereiche des Motivs korrekt belichtet werden müssen, kann man dazu die Belichtungskorrektur oder die Spotmessung verwenden.

Der Rest des Motivs bleibt dunkel, kann aber in der Nachbearbeitung aufgehellt werden. Bei solchen Motiven ist mir von vorneherein klar, dass ich mit Lightroom oder Photoshop ran muss.

In den meisten Fällen möchte man, dass das Bild genau so aussehen soll, wie man die Situation bzw. das Motiv gesehen hat. Die erste Frage lautet also: Was genau hat man gesehen? Manchmal spielt uns die eigene Wahrnehmung einen Streich, denn sie ist ausgesprochen selektiv. Darum ist es gut, wenn Sie

a) genau wissen, welches Bildergebnis Sie sich wünschen
b) die grundlegenden Zusammenhänge des Fotografierens kennen(lernen)
c) die Funktionen Ihrer Kamera kennen(lernen)
d) sich Zeit nehmen können, um verschiedene Einstellungen auszuprobieren.

Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass man nicht immer Zeit und auch nicht immer Lust hat, die ganze Klaviatur der Kameraeinstellungen durchzuexerzieren. Ich bin auch bequem und ungeduldig. Am liebsten ist es mir, wenn ein Bild auf Anhieb "sitzt" und wenn kein zweiter oder dritter Anlauf nötig ist. Oft verzichte ich - ganz in Feiningers Sinn - auf eine Aufnahme, weil ich weiß, dass das, was ich gerne als Bild mitnehmen würde, in der gegebenen Situation nicht gehen wird. Diese Entscheidung kann ich aber nur treffen, wenn ich vorher schon mehrmals an dem Versuch gescheitert bin, das Unmögliche möglich zu machen.

Die Tiefen-Lichter-Korrektur und eine lokale Anpassung
der Helligkeit führt zu einem ausgewogenen Ergebnis.

Erst nach der Bearbeitung mit Lightroom sieht das Motiv so aus, wie ich es haben wollte. Die vor Ort gesehene Wirklichkeit ist ein Zwischending: Die bunten Graffitis lagen im Schatten, der helle Durchblick blendete auch die Augen.

Viele Fotos, die wir heute sehen, sind solche "Kunstprodukte" und oft nur durch Bearbeitung realisierbar.

 

Die vielen halbgaren und misslungenen Aufnahmen gehören genauso zum Erfahrungsschatz jedes Fotografen wie die schönen und guten. Es ausgesprochen schwierig zu erklären, wie man ein gutes Bild macht. Aus Fehlern kann man eine Menge lernen und darum lade ich Sie ein zur Bildanalyse.

Schauen Sie Ihre Bilder vom letzten Fotospaziergang an.
  • Gab es Probleme mit dem Kontrastumfang?
  • In welchen Situationen?
  • Haben Sie das Problem bemerkt, haben Sie eingegriffen  - und wenn ja wie?
Machen Sie sich ggf. schlau, welche Funktionen Ihre Kamera bereit hält, um das Problem zu bewältigen und klären Sie mithilfe der Bedienungsanleitung, wie Sie diese Funktionen aktivieren.

Suchen Sie sich dann ein geduldiges Übungsmotiv, an dem Sie diese Kamerafunktion(en) in aller Ruhe ausprobieren können. Machen Sie mehrere Aufnahmen mit verschiedenen Einstellungen und vergleichen Sie die Ergebnisse. Was funktioniert am besten?

Viel Spaß beim Ausprobieren!
Und wenn Sie Lust haben, berichten Sie mir von Ihren Erfahrungen :-)

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