Donnerstag, 23. Mai 2013

Die Seele der Fotografie

Das eine Auge des Fotografen schaut weit geöffnet durch den Sucher, das andere, das geschlossene, blickt in die eigene Seele. 


Ich liebe dieses Zitat von Henri Cartier-Bresson, nicht nur weil es so poetisch klingt. Mit dem geschlossenen Auge in die eigene Seele blicken... Hm. Ja wo ist die denn eigentlich, diese Seele? Und was sieht man da, wenn man den Mut hat, hinein zu schauen? Natürlich würde jeder etwas anderes sehen.

Der Begriff "Seele" ist den meisten Menschen, wenn man ihn im Zusammenhang mit der Digitalfotografie erwähnt, viel zu esoterisch. Fotografen schauen lieber mit beiden Augen auf den Live-View-Monitor ihrer Kamera. Das Auge bleibt an den vielen eingeblendeten Informationen hängen und das Gehirn ist vor allem damit beschäftigt, die ganzen Daten auszuwerten. Schnell noch das Histogramm checken, die Messmethode anpassen und prüfen, ob alle Einstellungen stimmen... Gemeint sind natürlich die Kameraparameter. Die Einstellung (Motivation) des Kamerabenutzers wird in anderen Kategorien gemessen: Knipser, Profi, Amateur. Aber ist das wirklich alles?

Es ist die Einstellung des Fotografen zu seinem Motiv,
nicht die zu den technischen Elementen der Fotografie,
die über den Erfolg oder Nichterfolg seiner Bilder entscheidet.
Denn das "Gewusst wie" ist bedeutungslos,
wenn es nicht durch das "Gewusst warum" geleitet wird.

Andreas Feininger

Wo ist die Seele der Fotografie? 
Die Industrie kommt der menschlichen Leidenschaft fürs Bildersammeln und Dokumentieren mit immer neuen Produkten entgegen. Ein Auszug aus dem aktuellen Prophoto-Newsletter:

"Wenn Sie Ihrem Leben ein perfektes fotografisches Gedächtnis geben möchten, dann ist möglicherweise die Lifelogging-Kamera mit Cloud-Dienst für Sie eine Option. Die Kamera ist so groß wie eine Streichholzschachtel. Kernstück sind ein Fünf-Megapixel-Bildsensor sowie ein ARM9-Prozessor, der mit dem Betriebssystem Linux läuft. Eine Software "weckt" das Gerät zweimal in der Minute, um seine Pflicht zu erfüllen, und fügt zu jedem Bild die Daten eines GPS-Sensors, eines Beschleunigungsmessers und eines Magnetometers hinzu. Spezielle Algorithmen wählen dann aus dem Datenberg die interessantesten Fotos aus, um aus ihnen automatisch eine Dokumentation des eigenen Lebens und seiner wichtigsten Augenblicke zusammenzufügen. (http://memoto.com/)"

Nachdem einige Kameras schon ganz automatisch auslösen, wenn sie ein Tier- oder ein Menschengesicht entdecken, müssen wir in Zukunft also gar nicht mehr hinschauen. Wir können die Dokumentation unseres Lebens an eine Maschine outsourcen, das spart nicht nur Zeit, es ist bestimmt auch ein lustiges Spielzeug. Die "speziellen Algorithmen" werden bald ganz genau wissen, was wichtig oder schön ist. Automatisches Hochladen in ein soziales Netzwerk kann man dann sicher auch noch irgendwo einstellen. Als ich vor vielen Jahren den Film Minority Report sah, ahnte ich, dass es irgendwann so weit kommen würde. Weit davon entfernt sind wir nicht mehr... oder sind wir schon mitten drin?


Heute fotografiert fast jeder, alles, immer, überall. Ich gehöre auch zu den Vielfotografierern und rate jedem, die Kamera ständig in Griffweite zu haben. Aber es geht nicht darum, möglichst viele Fotos zu machen, sondern Bilder zu schaffen, die eine Bedeutung haben. Diesen Begriff muss natürlich jeder für sich selbst definieren. Für die ganz pragmatischen Leute reicht es, wenn ein Foto seinen Zweck erfüllt. Und so gibt es die zahllosen Knipser, die nur geringe ästhetische Ansprüche an ihre Bilder stellen - Hauptsache man erkennt, was drauf ist. Und auf der anderen Seite stehen die Leute, die bewusst mit Herz und Hirn fotografieren. In der Zwischenwelt bewegen sich all diejenigen, die einen höheren Anspruch an die Fotos haben, aber (noch) nicht wissen, wie sie vom Knipser zum Fotografen werden.

Dazu hätte ich einen salomonischen Vorschlag für die Fotoindustrie: Wie wäre es mit einer Feininger-App? Beim Antippen des Auslösers erscheint ein Popup-Fenster auf dem Monitor, das den Kamerabenutzer fragt, warum er dieses Motiv fotografieren und was er mit dem Bild ausdrücken will. Vermutlich würden dadurch deutlich weniger Fotos entstehen, aber das Nachdenken über das von Feininger geforderte "Gewusst warum" hätten wir etwas deutlicher vor Augen.

Wahrscheinlicher ist allerdings, dass die Industrie eine Touchscreen-gesteuerte Menüführung hinten dran hängt. Man muss dann ein Häkchen setzen für:

Ist für die Oma! oder
Es soll ein Galeriefoto für die fc werden!
Je nach ausgewähltem Menüpunkt kann die Kamera schon mal die entsprechenden Nachbearbeitungs-Apps hochfahren... ;-)

Fototipp zum Wochenende:
Benutze für den nächsten Fotospaziergang eine Speicherkarte, auf die maximal 20 Fotos drauf passen. Fotografiere bzw. behalte nur die Motive, die für dich eine wirkliche Bedeutung haben!

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